Die Wahl Johanns III. Sobieskis
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Musée Palais de Wilanów

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Die Wahl Johanns III. Sobieskis
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Bevor wir auf die Wahl Sobieskis im Jahr 1674 zu sprechen kommen, ist daran zu erinnern, dass die Institution der freien Königswahl – eines der Refugien der Freiheit der Szlachta – Mitte des 17. Jahrhunderts eine gewisse Krise erlebte. Die Serie der Niederlagen, welche die Adelsrepublik heimsuchten, angefangen vom Aufstands des Bohdan Chmelnicki bis hin zur „Sintflut“ des Schwedenkriegs, brachte manche Mitglieder der Magnatenelite dazu, über die Möglichkeit von Reformen (oder vielleicht besser gesagt: Korrekturen) der Verfassung des Staates nachzudenken. Dahin gingen die Vorschläge für Veränderungen, die in der politischen Publizistik formuliert wurden, aber auch die Reformvorschläge, die während der Tagung der Abgeordneten und Senatoren im Jahr 1658 diskutiert wurden. Man dachte an eine Beschränkung des Liberum Veto auf konkrete Gesetze und nicht den gesamten Acquis des aufgelösten Sejm, sogar an die Einführung einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit für die Vorschläge des Königs über die Einführung festerer indirekter Steuern, die Erweiterung des Kreises der ständigen Senatoren um die Vertretung einer Abgeordnetenkammer und auf diese Weise die Bildung eines permanenten, kollegialen Regierungsorgans, nicht zuletzt schließlich an die Korrektur der Prozeduren der freien Königswahl durch die Einführung einer Wahl zum Lebzeiten des herrschenden Monarchen.

In den Augen der Konservativen mussten all diese Postulate natürlich verdächtig wirken, daher die Schlussfolgerung solcher Denker wie Aleksander Maksymilian Fredro, dass die Niederlagen der Jahrhundertmitte kein Beweis der Schwäche der Adelsrepublik gewesen seien, sondern ihrer Stärke, da kein anderes Land eine solche Menge von aufeinanderfolgenden Unglücksfällen überstanden hätte. Paradoxerweise schien diese Auffassung niemand anderer als der Kurfürst von Brandenburg Friedrich Wilhelm Friedrich Wilhelm zu teilen, der in seinem Testament dem Sohn riet, sich an das Bündnis mit der Adelsrepublik zu halten, die „niemals ausstirbt“. Im Sturm der laufenden Geschehnisse, der Erneuerung des Kriegs gegen Moskau um die Ukraine, die gigantischen Schulden gegenüber der Armee und ihrer Konföderationen bewirkten, dass die ambitionierten Reformpläne nicht umgesetzt wurden und auf die laufenden Ereignisse der Schatten der schwarzen Wolken fiel, die über dem polnisch-litauischen Staat aufzogen. Ein Schatten, der König Johann Kasimir durchaus bewusst gewesen war und von dem er in überzeugender Weise auf dem Sejm im Jahr 1661 gesprochen hatte, als er die zukünftige Teilung des Landes vorhersagte (was spätere Historiker häufig, vielleicht allzu häufig, in den Vordergrund zu stellen pflegten). Es geht dabei jedoch darum, dass sich fast das gesamte Reformpaket nach Auffassung der Krone in einem Punkt konzentrierte: der Einführung der Wahl vivente rege. Dies war natürlich keine Kleinigkeit, aber für jeden in poltischen Dingen orientierten Vertreter der Szlachta war ohnehin offensichtlich, dass der Hof nicht pro publico bono funktioniert, sondern dynastische Interessen vertritt, nicht so sehr der Wasas (Johann Kasimir war schließlich kinderlos), als vielmehr seiner Gemahlin Luisa Maria Gonzaga. Diese zweifelsohne tüchtige und harte Frau, die sich die Wertschätzung ihrer Untertanen durch ihre entschiedene Haltung in der Zeit des Schwedenüberfals erworben hatte, verwandelte sich nun von einer positiven Heldin in eine „Höllische Mägere“. Man warf ihr vor, auf dem Weg von Intrigen hinter den Kulissen, einen Kandidaten auf den Thron bringen zu wollen, der bereit sein würde, ihre Nichte Anna Henrietta Julia, die Prinzessin von Bayern, zu ehelichen. Das war natürlich nicht die ganze Wahrheit, aber der Eindruck drängt sich auf, dass die die Reduzierung der Reformen auf die dynastische Frage, die Reform der freien Wahlen, wie ein Angriff auf die Grundfesten der Verfassung der Adelsrepublik wirken mussten.

Die Versuche, die Wahlen vivant rege des von Frankreich unterstützen Kandidaten durchzusetzen, erlebten 1661 auf dem Sejm ein Fiasko. Es half nicht einmal die bereits erwähnte Redekunst Johann Kasimirs. Der Hof gab jedoch nicht auf und suchte Rückhalt in der schon damals konföderierten Armee und den ihm nahestehenden Senatoren. Eine Note zur Unterstützung des Wahlverfahrens vivente rege unterzeichneten damals unter anderem der Kanzler der Krone Mikołaj Prażmowski, der Kanzler von Litauen Krzysztof Pac, der Woiwode von Ruthenien Stefan Czarnecki, aber auch der Marschall der Krone Jan Sobieski und der Großmarschall und Feldhetman der Krone Jerzy Sebastian Lubomirski. Letzterer zerwarf sich – ungeachtet dieser immerhin illegalen Note – recht bald mit dem Hof. Nicht fremd war ihm der Gedanke an eine Änderung der verfassungsrechtlichen Ordnung des Staates, aber er gedachte nicht, sich mit einem französischen Kandidaten einverstanden zu erklären – wenn schon, dann besser einer der Habsburger, wie er (natürlich) insgeheim befand. Durch die Königin („die den König führte, wie eine kleiner Äthiopier einen Elefanten“, wie es hieß), ihre Hofdamen (unter ihnen Sobieskis Geliebte: Marysieńka), französische Subsidien (heute würde man es Schmiergeld nennen), Habsburger Kontrasubsidien und Lubomirski entbrannte hinter den Kulissen ein Machtkampf um den Thron der Adelsrepublik. Da die Königin nicht offen vorgehen konnte, beschloss sie alles auf eine Karte zu setzen und Lubomirski zu vernichten. Vor das Sejmgericht gestellt, wurde er zu Verbannung, Verlust von Ämtern und Besitztümern verurteilt. Der Marschall suchte Zuflucht im Ausland, aus dem er jedoch noch zurückkehren sollte.

Während dieser Auseinandersetzungen stand Jan Sobieski, noch vor kurzem Lubomirski unterstellt, auf Seiten der „Höllischen Mägere“. Das was ihn mit der Königin am stärksten verband, war wohl die schöne Starostin von Kałusz (heute Kalusch, Ukraine), bis Mai 1665 die Gemahlin von Jan „Sobiepan“ Zamoyski, Maria d’Arquien, die mit ihrem Geliebten (Céladon, wie er sich in seinen Briefen nannte) umging wie jener kleine Äthiopier mit dem Elefanten. Trotz innerer Schwankungen entschloss sich Sobieski 1665, als Nachfolger des verbannten Lubomirski den Marschallsstab des Großmarschalls der Krone anzunehmen. Die Folgen des Konflikts um die freien Königswahlen erwies sich jedoch für das Land als tragisch. Der Winterfeldzug nach Moskau im Jahr 1663/1664 endete in einem Fiasko. Dem verurteilten Lubomirski dagegen gelang es einen Bürgerkrieg hervorzurufen, in dem das Land in den Jahren 1665 - 1666 versank. Militärisch siegte der Abtrünnige, der jedoch nicht von den Vorwürfen gegen ihn gereinigt wurde und bald darauf in der Vergangenheit starb. Die Pläne einer Königswahl vivente rege waren damit zunächst vom Tisch.

Ähnliche Ideen kehrten noch einmal wieder – im Jahr 1667, nach dem Tode der Luisa Maria, als der alte und frustrierte König Johann Kasimir bereit war, auf die Krone zu verzichten, um die letzten Lebensjahre in Frankreich zu verbringen. Diesmal war jedoch keine Rede von einer Wahl vivente rege, sondern vom Verlassen des Thrones, auf dem ein von Ludwig XIV. benannter Kandidat zu sitzen kommen sollte (man dachte an den Sohn des Condés, auch wenn offiziell der Herzog von Neuburg Philipp Wilhelm unterstützt wurde). Johann Kasimir dankte 1668 ab. Die Interessen Frankreichs während des Interregnums vertrat die profranzösische Partei mit dem Primas (dem ehemaligen Kanzler der Krone) Mikołaj Prażmowski und dem Marschall und Großhetman der Krone Jan Sobieski an der Spitze.

Auch diesmal wurden jedoch die Pläne der frankreichfreundlichen Partei durchkreuzt. Schon während des Konvokationssejms im November und Dezember 1668 wurden Stimmen laut, einen polnischen Kandidaten zu wählen, einen „Piasten“ wie es hieß. Man befand, dass diejenigen, die ausländische Kandidaten vorschlugen, mit Sicherheit bestochen sein mussten. Die Stimmung der Szlachta erspürte am besten der ehemalige Verbündete der Luisa Maria, der Unterkanzler der Krone und Bischof von Kulm Andrzej Olszowski. Anstatt auf einen Ausländer zu setzen, schlug er Michael Korybut Wiśniowecki vor, einen Mann , der sich persönlich durch nichts auszeichnete, dafür aber der Sohn des vor sieben Jahren verstorbenen legendären Jaremy Wiśniowiecki war. Die Szlachta unterstützte diese Kandidatur, aber da man Machenschaften seitens der frankophilen Partei befürchtete, riefen alle Landtage dazu auf, sich als gesammeltes Adelsaufgebot auf dem Wahlfeld einzufinden.

Was sich nun im Mai und Juni 1669 abspielte, wurde für viele Nachgeborene, darunter Historiker, zum Symbol der Anarchie des Adels, zur Verkörperung aller Schattenseiten der freien Königswahl. Am 6. Juni zwang die Menge der versammelten Adligen mit Gewalt die Senatoren dazu, den jungen Condé von der Wahl auszuschließen. Einige Senatoren versuchten sich zu widersetzen, die meisten ansonsten selbstbewussten Magnaten folgten jedoch dem Bischof von Kujawien Florian Czartoryski, der deklarierte: „Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes. Wen das Volk ausschließt, den halte auch ich für ausgeschlossen.“ Noch schlimmer kam es am 17. Juni. Die Emotionen stiegen angesichts des Brands von Warschau, der nach Ansicht vieler Beteiligter keineswegs höherer Gewalt zuzuschreiben war. Die Szlachta umringte den Tagungsort der Senatoren und warf ihnen Kungeleien mit Ausländern und Landesverrat vor. Es fielen Schüsse. „So endete die Sitzung mit einem tragischen Anblick“, schrieb der Augenzeuge Jan Chryzostom Pasek, „die Herren Bischöfe und Senatoren krochen unter den Stühlen und Kutschen mehr tot als lebendig hervor. „Zwei Tage später wurde Wiśniowecki als neuer König genannt. Der Teilnehmer der Königswahl Jan Antoni Chrapowicki schrieb: „Überall waren Fraktionen – die einen wollten den Neuburger, die anderen den Lothringer. Also befand man, da man sich nicht einigen könne und damit kein Zwist entstehe, einen Piasten zu wählen und zwar den Fürsten Michał Wiśniwowecki.“ Primas Prażmowski, dem es widerstrebte, das Verdikt zu verkünden, wurde dazu gezwungen, das „Te Deum laudamus“ abzustimmen.

Auch wenn auf dem Wahlfeld Wiśniowiecki den Sieg davontrug, beabsichtigte das Lager der Unzufriedenen, an dessen Spitze Prażmowski und Sobieski standen, keineswegs die Waffen zu strecken. Davon, dass der Konflikt nicht zum Erliegen kam, sondern permanent wurde, zeugt die Tatsache, dass der Krakauer Krönungssejm aufgelöst wurde (auch wenn die Wahl selbst noch stattgefunden hatte) durch die aus der Ostukraine Vertriebenen Exulanten, hinter denen jedoch die Unzufriedenen standen. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle näher auf die bewegten Ereignisse der Jahre 1669-1673 einzugehen. Es sei jedoch gesagt, dass die nach wie vor ständig von den Tataren bedrängte Adelsrepublik damals am Rand des Bürgerkriegs stand. Aus dem Rausch der politischen Emotionen riss den Adel erst 1672 der Verlust von Kamieniec Podolski (heute Kamjanez-Podilskyj, Ukraine), der Schandvertrag von Buczazcz (heute Butschatsch, Ukraine) und vor allem die Gefahr eines weiteren türkischen Angriffs, der diesmal sogar bis nach Krakau vordingen konnte und nicht nur bis Kamieniec. Niemand anders als der verhasste Sobieski schien imstande sich den Türken zu widersetzen. Der Sieg in der Schalacht von Chocim (heute Chotyn, Ukraine) am 10. und 11. November 1673 sollte wenigstens für einige Zeit der Gefahr einer türkischen Invasion Einhalt gebieten.

Am 10. November 1673 starb in Lemberg Michał Korybut Wiśniowiecki. Erneut war der Thron vakant. Die Hauptkandidaten waren wieder der Condé und der Herzog von Neuburg, die jedoch von dem von den bislang fruchtlos gebliebenen Interventionen in der Adelsrepublik enttäuschten Ludwig XIV. nur mehr sehr zurückhaltend unterstützt wurden, sowie Karl von Lothringen. Sobieski selbst hatte nicht vor gehabt zu kandidieren (er hatte nach der Schlacht von Chocim an Prestige gewonnen, aber viele hassten ihn nach wie vor aufrichtig), seine Wahl zeigte jedoch, dass der neue König, keinen fremden Interessen dienen und in der Kriegskunst erfahren sein sollte. Bezeichnend ist, dass auf dem Konvokationssejm im Januar 1674 die Litauer unter der Führung der Familie Pac, der die Sobieskis verhasst waren, einen Beschluss verlangten, der einen „Piasten“ (also einen Polen) von der Krone ausschließen sollte. Diese initiative zeigt, dass Sobieski selbst zwar keine Aspirationen auf die Krone deutlich machte, aber dennoch viele mit einer solchen Möglichkeit rechneten, so etwa der kaiserliche Gesandte in der Rzeczpospolita, aber auch die Redakteure (oder besser gesagt ihre Informanten) der „Gazette de France“, die Sobieski als „der Krone würdig, die er gerettet“ bezeichneten. Die französischen Kommentatoren bemerkten, dass Sobieski selbst lange zwischen einer eigenen Kandidatur und der des Condés geschwankt habe. Ihrer Ansicht nach war es seine geliebte Frau, die Céladon in seinem Entschluss bestärkte hatte – so wie dies häufig sowohl früher als auch später vorkam. Vielleicht spielten die beiden diesmal aber auch einvernehmlich, indem sie nicht nur die potenziellen Gegner in die Irre führten, sondern auch die Abgesandten des Sonnenkönigs.

Die Wahl begann am Samstag, den 19. Mai 1674. Trotz des Widerstands der Litauer begann der Krakauer Bischof Trzebicki die Prozedur, indem er das Veni Sancte Spiritus anstimmte. Am folgenden Tag wurde die Prozedur, wie immer am Sonntag, unterbrochen. Man ging zur Messe, nahm aber auch teil an Verhandlungen hinter den Kulissen oder drückte den Widerspenstigen französische Gratifikationen in die Hand. Am Montag, den 21. Mai erklärte der Wilnaer Bischof Mikołaj Pac, dass Litauen sich doch mit einem „Piasten“ einverstanden zeigt. Am Nachmittag erklangen dann die Rufe: Vivat Joannes Rex!

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