© Muzeum Pałacu Króla Jana III w Wilanowie
Silva Rerum   Silva Rerum   |   16.02.2016

Niederländische Skulpturenimporte für den König Johann III. (1681–1694)

Die Skulpturenausstattung des Landhauses und des Gartens des Königs Johann III. Sobieski in Willanów zählte den Archivquellen aus dem ausgehenden 17. und dem 18. Jh. zufolge zu den größten und zweifellos schönsten Anlagen dieser Art in Polen und Mitteleuropa. Dennoch sind die Umstände ihres Entstehens, ebenso wie ihre Einbettung und Rolle im künstlerischen und ideologischen Programm der Residenz und die Rezeption in der Kunst Polens, Litauens und Rutheniens immer noch nicht ausreichend untersucht worden. Dank den bahnbrechenden Archivfunden von Juliusz Starzyński und der darauffolgenden langjährigen Forschungstätigkeit von Mariusz Karpowicz, Wojciech Fijałkowski und einigen weiteren Wissenschaftlern konnte die Skulpturenausstattung teilweise rekonstruiert werden. Hingewiesen wurden dabei auf die formal-stilistischen Vorbilder aus Italien, Tessin und Frankreich, die auf Verbindungen zu dem römischen Umkreis von Bernini und Algardi sowie dem klassizistisch-akademischen Künstlerkreis am Hofe Ludwigs XIV. in Versailles und Louvre. Nur die wichtigsten Künstler im Dienst Johanns III. wurden bisher mit monografischen Arbeiten gewürdigt: Szwaner (Stefan Schwaner?) und Andreas Schlüter, wobei der letztere nur hypothetisch mit den Arbeiten in Willanów in Verbindung gebracht wird.

Die neusten Quellenfunde, die in den letzten Jahren von Kevin E. Kandt, Guido Hinterkeuser und dem Verfasser des vorliegenden Textes vorgestellt wurden, stellen die Genese und die westeuropäischen Wurzel der Skulpturenaufträge des Königs, die im Zuge der Arbeiten in der zweiten und dritten Ausbauphase der königlichen Residenz in den Jahren 1681–1694 erfolgten, in einem völlig neuem Licht. Das Hauptverdienst bei der erfolgreichen Durchführung dieses ambitionierten Projekts hatte der diplomatische Agent des Königs in den Vereinigten Niederländischen Provinzen und in den Spanischen Niederlanden, der einflussreiche spanische Kaufmann Francisco Mollo (der diese Funktion zwischen 1679 und 1696 ausübte), die offiziellen Empfänger der Transporte aus Amsterdam, Den Haag und Antwerpen waren zwei königliche Postmeister in Danzig – Caspar Richter und Bartholomeo Sardi. Die Transporte erreichten den Hafen an der Mottlau auf dem Seeweg, anschließend wurden sie auf Frachtkähne umgeladen und aufwärts der Weichsel in die Nähe von Warschau, direkt an die Anlegestelle von Willanów herbeigeschafft.

Bartholomeus Eggers aus Amsterdam sowie Artus II. und Thomas II. Quellinus aus Antwerpen und Kopenhagen. Statuen aus Marmor, Sandstein und Gips

Zwischen März 1681 und Juni 1690 verzeichnet der Briefverkehr zwischen dem Leiter der Umbauarbeiten an der Residenz Willanów Agostino Vincenzo Locci, Caspar Richter und dem König, sowie die Zolldokumentation des Danziger Hafens und Archivmaterial aus Amsterdam die Einführung von mindestens fünfundzwanzig in Carraramarmor gehauenen Skulpturen aus den Vereinigten Niederländischen Provinzen und den Spanischen Niederlanden. Unter ihnen befanden sich u.a. eine Gruppe von Skulpturen und Hermen antiker Götter (u.a. Roma Triumphans, Apollon – zwei Stück, Juno, Pallas Athena, Venus, Bachus und Merkur), Portraitbüsten des Königspaars, Sphinxe und Reliefs sowie Gruppen von Kinderskulpturen, die u.a. Personifikationen Asiens und Afrikas bildeten. Ihre Existenz im Inneren des Schlosses und im Garten bestätigen mehrere Beschreibungen und Berichte des ausgehenden 17. Jh. sowie ein Quellendokument von fundamentaler Bedeutung - das ebenfalls dort verfasste Inventar der Werke und anderen beweglichen Güter, die Anfang August 1707 von den Truppen des russischen Zaren Peter I. geraubt und nach Petersburg abtransportiert wurden. Das einzige bis heute in Willanów erhaltene Stück aus dieser Gruppe ist die prachtvolle Büste einer unbekannten antiken Göttin, die früher als Königin Maria Kazimiera d’Arquien de La Grange bezeichnet und irrtümlich mit dem Vertreter einer völlig unterschiedlichen klassizistischen Stilrichtung, dem Pariser Bildhauer Jacques Prou dem Jüngeren in Verbindung gebracht wurde. Im Sommergarten von Petersburg befinden sich fünf Originalskulpturen: Pallas Athena/Fortitudo (?), Ceres (?)/Prudentia und Venus (?) sowie die Büsten des Königspaares, der Verbleib der anderen Werke ist unbekannt. Die königliche Bestellung umfasste außerdem mindestens neun (bis heute sind sieben erhalten) Musenfiguren sowie Personifikationen der vier Begriffe: Honos, Magnanimitas, Splendor nominis und Valor/Fortitudo, alle von ihnen wurden aus dem in den Niederlanden erhältlichen gotländischen Sandstein gehauen.

Auf Grundlage der erwähnten Archivalien sowie unter Miteinbeziehung der Erkenntnisse über die niederländische und flämische Skulptur der 2. Hälfte des 17. Jh. lässt sich die behandelte Gruppe mit mindestens drei Künstlerpersönlichkeiten in Verbindung bringen. Die ersten Skulpturen lieferte 1681 vermutlich der bekannte Amsterdamer Bildhauer Bartholomeus Eggers (ca. 1637–1692), ein Schüler des aus Antwerpen stammenden Pieter I. Verbruggen, anschließend Mitarbeiter in der Werkstatt von Artus I. Quellinus, der durch die Anfertigung des monumentalen Skulpturenschmucks des Amsterdamer Rathauses Berühmtheit erlangte (1645–1667), in den Jahren 50.–80. des 17. Jh. übernahm Eggers eigenständige Aufträge, überwiegend von hochrangigen Vertretern der niederländischen Aristokratie aus Den Haag, den Süd- und Nordprovinzen der Niederlande und Friesland.

Als entscheidend für seine Karriere erwiesen sich allerdings Aufträge für zwei besonders einflussreiche, miteinander verwandte und auf dem Gebiet der Politik, Wirtschaft und Kultur eng zusammenarbeitende Mäzene des Reiches: den Herzog Moritz Johann von Nassau-Siegen (1604–1679) in Den Haag, Kleve und Sonnenburg (heute Słońsk an der Warthe) sowie für den Brandenburger Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Hohenzollern (1620–1688) in Berlin und Oranienburg. Die für all diese Orte überwiegend in den Jahren 1681–1682 angefertigten Skulpturen aus weißem Marmor, die Pallas Athena, Apollon und andere antike Gottheiten zeigten, sind besonders eng verwand mit der Figur der Roma Triumphans und anderen der genannten Götter, die im selben Zeitraum via Danzig nach Willanów geliefert wurden. Ende 1687 holte Francisco Mollo bei Eggers weitere vier Kinderfiguren aus Marmor ab.

Spätestens im Jahre 1682 gelangte aus Amsterdam nach Willanów eine Gruppe aus mindestens 13 Gipsbüsten der römischen Kaiser, von denen bis heute nur drei (Tiberius, Vespasian und Titus) erhalten sind und die Gartenfassade der südlichen Galerie schmücken. Alle wurden im 18. bzw. erst im 19-20. Jh. durch qualitativ schlechtere Kopien ersetzt. Bei den Büsten aus Willanów handelt es sich höchstwahrscheinlich um Repliken von Modellen einer Serie aus 12 analogen Büsten, die Eggers vor 1674 für den Großen Kurfürsten angefertigte. In den Beständen des Amsterdamer Rijksmuseums haben sich außerdem vier identische Portraits von Julius Cäsar, Caligula, Marcus Salvius Otho und Domitian erhalten, gegossen aus einer Zinn-Blei-Legierung in der bekannten niederländischen Gießerei von Barent de Rijp, die mit diesem Künstler zusammenarbeitete.

Der zweite Teil des königlichen Auftrags wurde an zwei Vertreter der zu diesem Zeitpunkt berühmtesten Bildhauerfamilie aus Antwerpen vergeben, an Quellin/Quellinus: Artus II. (1625–1700) und seinen Sohn Thomas II. (1661–1709), die in den 80er und frühen 90er Jahren des 17. Jh. in Antwerpen, am königlichen Hof der Oldenburger Dynastie in Kopenhagen und in der freien Reichsstadt Lübeck, dem Sitz der Hanse, aktiv waren. Bei den durch Archivquellen gesicherten Arbeiten der Quellinusfamilie in Willanów handelt es sich um zwei nicht mehr erhaltene, signierte Kindergruppen aus weißem Marmor, bei den übrigen Skulpturen wie die Musen, Büsten des Königspaars sowie die übrigen genannten antiken Götter und Personifikationen um Zuschreibungen, die sich in der internationalen und polnischen Literatur zum Thema etabliert haben. Die überaus hohe Qualität der genannten Skulpturen stellt diese in eine Reihe mit den besten Vertretern der flämischen Bildhauerkunst des ausgehenden 17. Jh. Die Vergleichsanalyse der Eigenschaften und Details der Skulpturen aus Willanów bringt sie in die Nähe der gleichzeitig in den Spanischen Niederlanden (Antwerpen, Herkenrode/Hasselt, Hemiksem/Wouw), Dänemark (Kopenhagen, Aarhus) und nördlichen Provinzen des Reiches (Lübeck, Güstrow) entstehenden Werken der sakralen, sepulkralen und weltlichen Kunst dieser beiden Bildhauer, bestätigt damit die früheren Befunde von Hans Nieuwdorp, Mariusz Karpowicz und Sergej O. Androssov.

Barent de Rijp (Dronrijp, Doorijp) aus Amsterdam und Delft. Gartenskulpturen aus Zinn- Blei-Legierung

Der Korrespondenz von Locci und Richter mit dem König zufolge kamen in den Jahren 1681–1684 in Willanów mindestens 30 Gartenskulpturen an, die aus Amsterdam über Danzig transportiert und in der zum damaligen Zeitpunkt in den Niederlanden besonders beliebten Technik des Zinn- und Bleigusses angefertigt wurden. Es handelte sich dabei u.a. um Skulpturen der Götter und Helden der Antike wie Herkules, Flora, Apollon, Venus, Fortuna, Merkur, Satyr, Diana sowie um Gladiatoren und Tänzerinnen/Tänzer (jeweils vier Stück), die anschließend mit Blattgold überzogen, was die feuervergoldete Bronze/Messing imitieren sollte, und auf steinernen Sockeln auf beiden Gartenterrassen aufgestellt wurden. Von ihnen waren bis in Mitte des 18. Jh. 22 große Skulpturen und mindestens einige kleine Kinderfiguren erhalten, die damals grau bemalt waren, um sie auf diese Weise an die benachbarten Stein- und Marmorskulpturen anzugleichen. Die letzten Götter- und Gladiatorenfiguren wurden 1793 oder 1794 im Zuge der Plünderungen der mittlerweile im Besitz der Familien Potocki und Lubomirski befindlichen Residenz durch die russischen Truppen geraubt und vermutlich nach Petersburg abtransportiert. Das spätere Schicksal der Werke ist unbekannt. In der bisherigen Forschung konzentrierte man sich auf die vermeintliche Danziger Genese dieser Skulpturen (für den Leiter der örtlichen Gießerwerkstatt hielt man sogar irrtümlich den Postmeister Caspar Richter persönlich), die Frage ihrer Herkunft konnte erst durch eine sorgfältige Aufarbeitung der Archivquellen aus Danzig und den Niederlanden gelöst werden.

Die Herstellung der Skulpturen aus Zinn- und Blei erreichte im Laufe des 17. Jh. in den Vereinigten Niederländischen Provinzen ein besonders hohes Niveau, Künstler vom Rang eines Jan van Nost des Älteren aus Mecheln (gest. 1729) oder Andries Carpentière (ca. 1677–1737) führten im vierten Quartal des 17. Jh. diese Technik erfolgreich in England und London ein. Das konkurrierende Zentrum in Versailles, das von Jean-Baptiste Tuby (1635–1700) geleitet wurde führte überwiegend die Aufträge des Hofes Ludwigs XIV. aus. Als die wichtigste Werkstatt, die sich in dieser Technik spezialisierte und vornehmlich für die Herstellung profaner Werke für Garten- und Kabinettausstattung zuständig war, galt die zuerst in Delft, später in Amsterdam tätige Werkstatt von Johan Larson, die in den 70er Jahren des 17. Jh. von Barent de Rijp (Dronrijp, Doorijp) übernommen wurde, als Vorlage für die Entwürfe für die Serien der Götter und antiken Helden bzw. Kinderfiguren (von der Art der Putti fiamminghi) diente die aus Rom und Italien importierten Gipsabgüsse antiker Originale sowie Werke von François Duquesnoy. Das Unternehmen bot ganze Sets dieser Figuren, zwischen dem 2. und 4. Quartal des 17. Jh. gelangten einige von ihnen u.a. in die Gärten mehrerer Residenzen in den Niederlanden, in die Gartenanlagen des Großen Kurfürsten in Berlin, des Kurfürstenpaars Ernst August und Sophie nach Herrenhausen bei Hannover und in den Sitz von Alexander von Dohna nach Schlobitten in Ostpreußen (heute Słobity), ferner in den Palacio de Fronteira bei Lisabon und nach Kopenhagen. Der königliche Auftrag für Willanów erfolgte somit am Gipfel der Beliebtheit von Skulpturen dieser Art in Westeuropa.

Blei- und Gipsabgüsse aus der Werkstatt von Larson und de Rijp bestellten in diesem Zeitraum auch andere Auftraggeber aus dem Kreis des polnischen Hochadels wie etwa Stanisław Herakliusz Lubomirski und Andrzej Morsztyn. An den genannten Standorten sowie u.a. im Rijksmuseum von Amsterdam oder in dem Johann-Gottfried-Herder-Museum in Morąg (dt. Mohrungen) haben sich insgesamt mehrere Dutzend Skulpturen und Kinderfiguren erhalten, ihre sich oft wiederholenden Posen und gemeinsame formal-stilistische Merkmale erlauben eine weitgehend präzise Rekonstruktion des Skulpturenprogramms sowie des Aussehens der meisten Götterskulpturen der Schlossanlage von Willanów von. Die Blattvergoldung ist zudem an den Skulpturen von Herrenhausen erhalten geblieben.

Die nachgewiesene Existenz von rund 80 Skulpturen und Reliefs, die zwischen 1681 und 1694 vom König Johann III. Sobieski für Willanów in Amsterdam, Antwerpen und Kopenhagen bei vier führenden niederländischen und flämischen Bildhauern des 4. Quartals des 17. Jh. Bartholomeus Eggers, Barent de Rijp sowie Artus II. und Thomas II. Quellinus bestellt wurden, verändert vollkommen das bisherige Bild vom königlichen Mäzenatentum im Bereich der Bildhauerkunst. Sie lässt auch nachvollziehen, warum der aus Danzig engagierte Szwaner (Stefan Schwaner), ein Vertreter derselben klassisch-flamischen Stilrichtung, mit der Stellung des Hofbildhauers betraut wurde, bzw. der talentierte Andreas Schlüter an den höfischen Aufträgen beteiligt war. Die königlichen Aufträge müssen zudem in einem wesentlich breiteren kulturellen und geografischen Kontext analysiert werden, unter Berücksichtigung der führenden Rolle dieser Strömung der westeuropäischen Bildhauerkunst in der 2. Hälfte des 17. und im frühen 18. Jh. an sämtlichen königlichen Höfen und in den Ländern des Ostseeraumes, von Kopenhagen und Schleswig im Westen bis hin zu Turku, Reval und Riga im Osten, einschließlich der Städte Danzig und Elbing.

Anstelle der bisher als Hauptinspirationsquellen vorgeschlagenen Zentren der Bildhauerkunst in Rom oder Versailles treten nun Amsterdam, Haag und Antwerpen, indirekt auch Berlin in Erscheinung, wo die als Muster für die besprochenen Bestellungen aus Willanów identifizierten Werke von Eggers, Larson und de Rijp, in sichtbar klassizistischer Stilrichtung konzipiert, bereits früher auftreten. Die bisher als Hauptinspirationsquelle für Willanów und für Johann III. zitierte römische Antike zeigt in Bezug auf die Skulptur weniger ein italienisches, viel mehr ein niederländisches Gesicht, das zudem von der damals in ganz Niederlanden aus politischen und gesellschaftlichen Gründen vorherrschenden Vorliebe für einen in seinem Ausdruck strengen „republikanischen” Stil der Antike abhängig ist und reichlich aus den neuzeitlichen venezianischen Vorbildern schöpft (Palladio, Scamozzi). Die Werkzeuge des kulturellen und künstlerischen Transfers waren in diesem Fall Gipsabgüsse und Grafik mit Darstellungen antiker Monumente. Einer besonderen Analyse bedarf nun das von der bisherigen Forschung bisher nicht berücksichtigte Phänomen der Rezeption der Anlage von Willanów in der Kunst Polen-Litauens des späten 17. und des 18. Jh.